Die Untersuchung auf Polymorphismen im IL1A-, IL1B- und IL1RN-Gen wird unter dem Begriff »IL1-Risikotest« schon seit mehr als 10 Jahren zur Verifizierung des Risikofaktors »Entzündungsprädisposition« bei der Parodontitis durchgeführt. Auf Grund der Erkenntnisse, dass die Immunmechanismen bei Parodontitis und Perimukositis/-implantitis identisch sind, wird die Bestimmung auch zunehmend für die Fragestellung »Periimplantitisrisiko« eingesetzt.
Das Wissen um die genetischen Risikofaktoren für eine verstärkte Entzündungsantwort als Ursache für chronische und aggressive Verlaufsformen der Parodontitis hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Dabei wurde mit dem G-308A-Polymorphismus im TNF-α-Gen ein weiterer wichtiger Marker validiert und etabliert. Schon 2008 wurde dieser Polymorphismus in die Evaluierung der individuellen genetischen Entzündungsneigung integriert.
Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNF-α) wird gemeinsam mit Interleukin-1 (IL-1) als proentzündliches Schlüsselzytokin bezeichnet. Beide Zytokine werden von aktivierten Gewebemakrophagen sezerniert und stehen am Anfang jeder Entzündungsantwort. Sie lösen zahlreiche lokale und systemische Effekte aus, die zum großen Teil synergistisch und redundant sind (Abb. 1). Insofern war es nicht überraschend, dass man den mit einer verstärkten Ausschüttung von TNF-α assoziierten Polymorphismus G-308A bei Patienten mit verschiedenen chronisch entzündlichen Erkrankungen in erhöhter Frequenz nachweisen konnte. Dieses betrifft nicht nur die Parodontitis/Periimplantitis, sondern auch systemische Erkrankungen, die bekanntermaßen mit der Parodontitis in Assoziation stehen: Diabetes mellitus1 , chronisch entzündliche Darmerkrankungen2 sowie Apoplexrisiko und Arteriosklerose.3
TNF-α ist wie IL-1 ein potenter Stimulator der Knochenresorption und steigert den Abbau extrazellulärer Matrix durch Induktion von Metallomatrixproteinasen (MMPs)4 . Schon 2002 wurde gezeigt, dass die TNF-α-Expression bei Titanimplantationen sowohl im implantatumgebendem Gewebe als auch in der periimplantären Sulkusflüssigkeit deutlich erhöht ist.5,6 Bei der experimentellen Parodontitis lassen sich durch Blockierung der TNF-α-Effekte durch lösliche Rezeptoren die Entzündung und die Knochenresorption hemmen, was die Bedeutung von TNF-α in der Immunpathogenese sowohl der Parodontitis als auch der Periimplantitis verdeutlicht.7
Ein G/A-Polymorphismus im TNF-α-Gen im Promoter an der Stelle –308 geht mit einer bis zu siebenfach gesteigerten TNF-α-Expression einher.8 Bei Patienten mit Therapieresistenter Parodontitis zeigen Träger dieses Polymorphismus eine deutlich gesteigerte TNF-α-Freisetzung durch orale Schleimhautmakrophagen.9
Interessanterweise ist der Nachweis des TNF-α-Polymorphismus signifikant mit der subgingivalen Kolonisation mit Prevotella intermedia assoziiert.10,11 In einer 2010 publizierten Studie kam der G-308A-TNF-α-Polymorphismus bei Patienten mit generalisierter Parodontitis signifikant häufiger vor als bei Patienten ohne Parodontitis.12 Auch bei Patienten mit peri-implantärem Knochenverlust lassen sich gehäuft Träger des TNF-α-Polymorphismus nachweisen.13
In einer von der Deutschen Gesellschaft für Umwelt-ZahnMedizin initiierten retrospektiven Studie zur Risikoeinschätzung eines Implantatverlustes bei zahnmedizinischen Titanimplantationen wurde der TNF-α-Polymorphismus ebenso wie die IL1A-, IL1B- und IL1RN-Risikogenotypen häufiger in der Implantatverlustgruppe nachgewiesen. Die Kombination dieser 4 Genvarianten erlaubt eine signifikante prädiktive Aussage, denn in Abhängigkeit von der vorliegenden Anzahl dieser Risikopolymorphismen liegt ein bis Literatur 1 . Feng et al. (2009): TNF 308 G/A polymorphism and type 1 diabetes: a meta-analysis. Diabetes Res Clin Pract. 85:4-7. 2 . Bouma et al. (1996): Distribution of four polymorphisms in the tumour necrosis factor (TNF) genes in patients with inflammatory bowel disease (IBD). Clin Exp Immunol. 103:391-6. 3 . Szabó & Acsády (2011): Tumornecrosis-Factor-α 308 GA Polymorphism in Atherosclerotic Patients. Pathol Oncol Res. 17(4):853-7. 4 . Vassalli (1992): The pathophysiology of tumour necrosis factors. Annu Rev. Immunol 10:411-452. 5 . Shubayev et al. (2004): Titanium implants induce expression of matrix metalloproteinases in bone during osseointegration. J Rehabil Res Dev. 41:757-66. 6 . Ataoglu et al. (2002): Interleukin-1beta, tumor necrosis factoralpha levels and neutrophil elastase activity in peri-implant crevicular fluid. Clin Oral Implants Res. 13:470-6. 7 . Assuma et al. (1998): IL-1 and TNF antagonists inhibit the inflammatory response and bone loss in experimental periodontitis. J Immunol. 160: 403-409. 8 . Wilson et al. (1997): Effects of a polymorphism in the human tumor necrosis factor alpha promotor on transcriptional activation. Proc Natl. Acad Sci. 94: 3195-9. 9 . Galbraith et al. (1998): Tumor necrosis factor alpha production by oral leukocytes: influence of tumor necrosis factor genotype. J Periodontol 69: 428-33. 10 . Schulz et al. (2008): Genetic markers of tumour necrosis factor alpha in aggressive and chronic periodontitis. J Clin Periodontol. 35:493-500. 11 . Schulz et al. (2012): The importance of genetic variants in TNFα for periodontal disease in a cohort of coronary patients. J Clin Periodontol. 39(8):699-706. 12 . Erciyas et al. (2010): Association between TNF-alpha, TGF-beta1, IL-10, IL-6 and IFN-gamma gene polymorphisms and generalized aggressive periodontitis. Clin Invest Med. 33:85. 13 . Cury et al. (2007): Effect of tumor necrosis factor-alpha gene polymorphism on peri-implant bone loss following prosthetic reconstruction. Implant Dent. 16:80-8. 14 . Jacobi-Gresser et al (2013): Genetic and immunological markers predict titanium implant failure: a retrospective study. Int J Oral Maxillofac Surg.;42:537-43 zu 6-fach erhöhtes Risiko für einen Titanimplantatverlust vor.14 Diese Studie verdeutlicht, dass die Zytokinpolymorphismen in den Genen IL1A, IL1B, IL1RN und TNFA aufgrund ihrer zentralen Rolle in der Pathogenese der Parodontitis/ Periimplantitis genetische Risikofaktoren darstellen. Dabei bedingt jeder einzelne Polymorphismus bereits eine genetische Prädisposition, der »Synergismustheorie« folgend erhöht sich das Risiko jedoch signifikant bei Trägerschaft mehrerer assoziierter Polymorphismen. Seit 2008 ist TNF-α daher fest integriert im Polymorphismenprofil der Parodontitis/ Periimplantitis-Genetik.
Die Analyse ist derzeit nicht Bestandteil kommerzieller vereinfachter Testverfahren wie beim Nachweis der IL-1-Polymorphismen; die Genotypisierung muss daher separat über eine spezifische PCR mit anschließender Schmelzkurvenanalyse am Lightcycler erfolgen.