Der Diabetes mellitus (D.m.) ist eine durch chronische Hyperglykämie charakterisierte Stoffwechselregulationsstörung auf der Grundlage einer gestörten Insulinsekretion und /oder verminderten Insulinwirkung. Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) hat die von der WHO bestätigten Empfehlungen der Amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) überprüft und in ihre Leitlinie übernommen.
In der Klassifikation wird ausdrücklich auf die Begriffe insulinabhängiger Diabetes mellitus (IDDM) und nichtinsulinabhängiger Diabetes mellitus (NIDDM) verzichtet, da diese nur die primär verschiedenen Behandlungsstrategien, nicht aber die zugrunde liegenden pathogenetischen Mechanismen widerspiegeln.
I. Diabetes mellitus Typ 1 (D.m. Typ 1)
Beim D.m.Typ1 liegt eine progrediente Zerstörung der insulinproduzierenden B-Zellen des Pankreas vor. Es besteht ein absoluter Insulinmangel mit Insulinmangelsyndrom: Polyurie, Polydipsie, Ketoazidose und Gewichtsverlust. Er tritt bevorzugt bei jüngeren Menschen auf, kann sich aber auch später manifestieren. Das Spektrum der Manifestation reicht von gestörter Glukosetoleranz über mäßig erhöhte Nüchternblutglukosewerte bis hin zur abrupt einsetzenden Insulinbedürftigkeit mit ketoazidotischer Stoffwechselentgleisung (15-20% Manifestationskoma). Belastungen (z.B. akute Infekte oder Operationen) führen bei zunächst langsam progredienten Verläufen zur Entgleisung. Bei spät manifestierten Fällen ist oft eine Restfunktion der B-Zellen vorhanden, die eine ketoazidotische Stoffwechselentgleisung verhindern kann.
Der D.m.Typ 1 ist meist eine Autoimmunerkrankung (Typ 1A), bei der man Antikörper gegen Inselzellen (ICA), Insulin (IAA), Glutamatdecarboxylase der B-Zellen (GAD65A) und/oder Tyrosinphosphatase (IA-2A) nachweisen kann. Es liegt eine HLA-Assoziation vor (HLA DR3, DR4). Der in Deutschland seltene idiopathische Subtyp 1B ist nicht immunologisch bedingt (Fehlen von Auto-AK) und mit hoher Penetranz vererbbar.
Die in Deutschland häufigste Form des Diabetes mellitus ist der
II. Diabetes mellitus Typ 2 (D.m. Typ 2)
Hier besteht eine phänotypische Variabilität mit unterschiedlich schwer ausgeprägten Störungen der Insulinwirkung und/oder der Insulinsekretion bei meist übergewichtigen Patienten. Die genetische Penetranz ist sehr hoch. Jedoch sind die zugrunde liegenden genetischen Faktoren im Detail noch immer unbekannt (sehr wahrscheinlich polygen mit genetischer Heterogenie).
Neben der genetischen Disposition spielen als Realisationsfaktoren Übergewicht, falsche Ernährung, mangelnde körperliche Aktivität und höheres Lebensalter eine entscheidende Rolle. In den letzten Jahren wurde international allerdings eine Zunahme der bisher eher seltenen Fälle von D.m.Typ 2 bei Jugendlichen registriert. Dies wird in Verbindung gebracht mit der steigenden Zahl von Übergewichtigen in dieser Altersgruppe. Die Stammfettsucht gilt als unabhängiger Risikofaktor für die Manifestation des Typ-2-Diabetes mellitus.
Der Pathomechanismus beruht auf:
Es liegt keine autoimmune Zerstörung der insulinproduzierenden B-Zellen des Pankreas vor.
Sehr häufig kommt es zu Mikro- und Makroangiopathien sowie Neuropathie.
Der Begriff »metabolisches Syndrom« beschreibt das gemeinsame Auftreten von Glukoseintoleranz oder Typ-2-Diabetes mit abdomineller Adipositas, Dyslipoproteinämie und essentieller arterieller Hypertonie. Weitere Facetten des metabolischen Syndroms sind Hyperurikämie, gestörte Fibrinolyse und Hyperandrogenämie bei Frauen.
III. Gestationsdiabetes
Der Gestationsdiabetes ist ein genetisch heterogenes Krankheitsbild mit variierendem Schweregrad und die häufigste Stoffwechselerkrankung in der Schwangerschaft.
Weltweit sind ca. 1-5 % der Schwangeren betroffen. Die Schwankungsbreite ist durch die untersuchten unterschiedlichen Populationen und verschiedene dabei angewandte Diagnosekriterien bedingt.
IV. andere spezifische Typen des D.m.
...sind im Vergleich selten. Beispielhaft seien genannt: sekundäre Formen bei zystischer Fibrose, Pankreatitis, Neoplasie, Hämochromatose, Endokrinopathien (Cushing, Phäochromozytom u.a.). Weitere Fälle treten postinfektiös auf (CMV, konnatale Röteln) oder sind medikamenten- bzw. chemikalieninduziert.
V. gestörte Glukosetoleranz (IGT) und abnorme Nüchternglukose (IFT)
Die gestörte Glukosetoleranz (Impaired Glucose Tolerance, IGT) ist keine eigenständige Diagnose mehr, sondern dient zur Beschreibung des Ausmaßes der Hyperglykämie bzw. des Stadiums der Erkrankung. Mit der Einführung der »abnormen Nüchternglukose« (Impaired Fasting Glucose, IFG) hat man ein einfacher messbares Äquivalent für die gestörte Glukosetoleranz etabliert.
Um den Vorhersagewert für die Entstehung eines D.m. der IFG dem der IGT anzugleichen, wurde der Grenzwert auf 90 mg/dl (Vollblut) abgesenkt.
[Alle Angaben in mg/dl (mmol/l)]
Bei klassischen Symptomen (Polyurie, Polydipsie, unklarer Gewichtsverlust), bei Glukosurie oder Gelegenheitshyperglykämie (zu irgendeiner Tageszeit ohne Beziehung zu den Mahlzeiten): Kontrolle der venösen Gelegenheits-Plasmaglukose:
Schritt 1:
Wenn = 200 (11,1), dann Diabetes m. feststehend
Wenn =100 (5,6) < 200, dann weitere Diagnostik nach Schritt 2
Schritt 2:
Wenn = 126 (7,0), dann Wiederholung; bei Bestätigung ist Diabetes m. diagnostiziert.
Wenn 100-125 (5,6-6,9), oGTT durchführen
Wenn 90-99 (5,0-5,5), in Kontrolle (Risikofaktoren, Plasmaglukose) behalten
Schritt 3, oGTT:
Durchführung nach WHO-Kriterien…
…am Morgen (nach 10-16 stünd. Nahrungskarenz) nach einer mind. 3-tägigen kohlenhydratreichen (>150g/Tag) Ernährung (Fasten oder Kohlenhydrat-Mangelernährung kann auch bei Gesunden zu pathologischer Glukosetoleranz führen). Rauchen vor und während des Tests ist nicht erlaubt.
Auswertekriterien zum oGTT [(für venöse Plasmaglukose, mg/dl(mmol/l)]:
Nüchtern | 2h-oGTT | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
NGT | Normale Glukosetoleranz | < 100 (5,6) | < 140 (7,8) | |||
IFG | Abnorme Nüchternglukose | 100 – 125 ( 5,6 - 6,9) | ./. | |||
IGT | Gestörte Glukosetoleranz |
| ||||
DM | Diabetes mellitus |
|
Die Absenkung des Nüchternwertes gegenüber den alten Empfehlungen der WHO (1985) von 140 auf 126 mg/dl trägt der Tatsache Rechnung, dass die Prävalenz der Retinopathie bereits bei Nüchternwerten > 126 mg/dl und bei 2h-Werten > 200 mg/dl stark zunimmt.
In 2004 wurde der untere Grenzwert für die IFG von 110 auf 100 mg/dl abgesenkt. Hierdurch sollte der prädiktive Wert der IFG für die Entstehung eines Diabetes mellitus dem der IGT angeglichen werden.
Das glykolysierte Hämoglobin ist allein für die Diagnose des Diabetes mellitus nicht geeignet. Domäne des HbA1c ist z.Zt. die Therapieüberwachung und Patientenführung.
Die Diagnose des Gestationsdiabetes orientiert sich an schwangerschaftsspezifischen Grenzwerten. Ausführliche Informationen hierzu können Sie mit der Diagnostik-Info Nr. 21/705 anfordern.
Wir möchten Sie an dieser Stelle auch schon auf die Diagnostik-Info zum Thema »Intaktes Prosinsulin – Insulinresistenz« (in Arbeit) hinweisen.
Diabetes-Screening bei Gesunden
> 45 Jahre; Wdh. alle 3 Jahre
< 45 Jahre bzw. kürzere Intervalle bei:
Die Diagnose eines Diabetes mellitus darf nur gestellt werden , wenn die Blutglukosewerte mit einer qualitätskontrollierten Labormethode gemessen wurden. Den Blutproben sollte - sofern sie nicht enteiweißt wurden - ein Zusatz zur Hemmung der Glykolyse in den Erythrozyten zugefügt werden. Unabhängig von der Ausgangskonzentration nimmt die Glukose im Venenblut, z.B. bei Raumtemperatur, um 6 mg/dl (0,33 mmol/l) pro Stunde ab!
Deshalb optimales Probenmaterial: Natrium-Fluorid-Blut.
Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus - Evidenzbasierte Leitlinie DDG – Aktualisierung 10/2004